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Als Mensch vom Marketing tausche ich mich ständig aus. Ich kommuniziere, vermittle, höre zu. Bei alledem gilt das Diktat des emotional schwächsten Glides:

Sei nur so direkt, wie dein Gegenüber. Vielleicht besser ein wenig weniger. Es könnte ja sein, dass die Gesprächspartnerin sensibler ist als gedacht. Es könnte sein, dass sie aus dem Bett gefallen ist, sich am zu stark gerösteten Kaffee den Mund verbrannt hat oder grad mit föhnbedingt-verstärkten Kopfschmerzen besonders schwingungsstark auf Gegenrede anspringt.

Empathisches Zuhören nennt sich das. In Erwartung emotionaler Instabilität feile ich solange an meinen Aussagen, Botschaften und Antworten, bis sie garantiert bekömmlich sind. Wie untersalzenes, karrottendurchsetztes Kartoffelpüree, garniert mit breiigen Erbsen.

Sechs Auswirkungen politischer Korrektheit

Als immer lernender Kommunikator verwende ich 80 Prozent meiner Zeit darauf, Aussagen solchermassen zu pürieren. Dabei führt diese ständige Korrektheit zu nichts:

  • Atemberaubend langatmig: Pürierte Aussagen sind länger. Ein Beispiel: “Ich würde vorschlagen, die betroffene Person darüber zu informieren.” (68 Zeichen). “Informier Peter!” (16 Zeichen). Nicht pürierte Kommunikation ist also rasante 76.5 Prozent kürzer. Klar ist, dass soviel Kürze nicht empathie-konform ist und deshalb oft zu kurz kommt.
  • Unwiderlegbar stark: Pürierte Aussagen lassen sich nicht falsifizieren: Sie lassen sich beliebig auf den sinnbildlichen Tellern unserer Meetings und Sitzungen verstreichen. “Grundsätzlich sollten wir das Ziel verfolgen digitale Kanäle vermehrt zu nutzen beziehungsweise die bestehenden analogen Kanäle optimiert mit ihren digitalen Entsprechungen zu verbinden.” Hm. Ja? Nein? Klingt gut, machen wir grundsätzlich mal so?! Es ist ist nicht einfach, diese Aussage abzuklopfen. Irgendwie stimmt das schon beziehungsweise es stimmt einigermassen. Hauptsache: Alle fühlen sich verstanden und denken, dass sie irgendwie verstehen, was gemeint ist. So generaliter.
  • Schweizerisch kompromittiert: Als Kinder Helvetiens wird uns ja seit der ersten Geschichtsstunde der Kompromiss als morgenrötliches Allheilmittel verschrieben. Entsprechend sagen wir viel lieber “ja”, als “nein”. Ausser bei Volksabstimmungen natürlich, wo niemand zurückverfolgen kann, wer “nein” gesagt hat. Wodurch wiederum niemand sich auf die Zehen getreten fühlt. Für bessere Lösungen ist es aber unerlässlich, dass jemand ‘nein’ sagt oder ‘nicht gut genug’ oder ‘noch mal’. Allerdings betrachten wir Eidgenossen solcherlei Gebaren hinter vorgehaltener Hand gerne als zu Deutsch. Lies ‘arrogant’.
  • Ja und Amen: Ja, ich sage euch: Es ist einfacher “ja” zu sagen. Da muss man nicht lange überlegen, was es denn für Alternativen geben könnte oder ob die Grundannahmen wirklich zutreffen. Auch lästige Grundsatzfragen kommen gar nicht erst auf. Der Sinn und Unsinn politisch korrekter Aussagen etwa wird zu gleichen Stücken als wertvoller Beitrag zum Dialog akzeptiert. Genau. Ja zu sagen – oder zumindest nicht fundiert zu verneinen – ist bequemer. Aber: Wenn Arbeit bequem wird, ist es Zeit für einen Stellenwechsel. Oder für eine medidative Neu-Orientierung. Oder für etwas mehr Pfeffer im Püree. Heisst: Etwas mehr Konfrontation.
  • Dumm Fragen: Sage nicht, warum! Warum-Fragen scheinen wahlweise Unwille, aggressives Schweigen, mitleidiges Kopfschütteln, ärgerliches Abwinken, maternalistische Belehrungen oder emotionale Verstopfung zu verursachen. Dabei bewirkt ein sokratisches “warum?” wahre Wunder! Lässt sich eine Gruppe aufs warum ein, arbeitet sie über kurz oder lang viel effizienter: Die Warum-Frage fördert die Wiederentdeckung und -belebung von unter Papierbergen begrabenen Zielen. Dass es unangenehm sein kann, einen Schritt zurück zu machen, ist klar. Dass es nicht anders geht, wenn man irgendwann einen oder zwei Schritte vorwärts machen möchte, auch.
  • Metakommunikativ an der Sache vorbei: Politische Korrektheit forciert uns dazu, unglaublich viel darüber zu sprechen wie wir sprechen:

    [Gesprächspartner verlagern] ihre Aufmerksamkeit auf eine höhere Ebene der Betrachtung und sprechen darüber, wie sie miteinander umgehen oder was sie im Moment stark beschäftigt. (Wikipedia: Eintrag ‘Metakommunikation’, 20. April 2015)

    Metakommunikation – so scheint es – ist eine anspruchsvolle Angelegenheit. Geht man davon aus, dass es im Büroalltag nicht darum geht, wie jemand kommuniziert, sondern um die Sache, schiesst diese Verlagerung auf eine höhere Ebene ziemlich deutlich übers Ziel hinaus.

Antithese: Sechs Gebote politisch inkorrekter Kommunikation

  1. Halte dich kurz.
  2. Sei direkt: Sag direkt und auf den Punkt, was du vom Gegenüber willst. Kritisiere ohne einleitende Besänftigungsformeln. Verzichte auf ständiges Verweisen auf deine Gefühle und Eindrücke. Dies führt zu totalem Relativismus.
  3. Formuliere thesenhaft: Thesen führen zu ertragreicheren Gesprächen. Nicht: In manchen Fällen können Thesen zu einem optimierten Gesprächsklima führen. Thesen müssen nicht richtig sein. Sie müssen aber Gegenthesen provozieren und Synthesen erlauben.
  4. Sei immer kritisch: Nichts schadet einer Unternehmung mehr, als eine Team von Kopfnickern. Ohne Kritik gibt es keine Verbesserung. Ohne Verbesserung bleibt Entwicklung aus. Keine Entwicklung bedeutet – gerade für Wissensarbeiter – den beruflichen Bankrott.
  5. Hinterfrage alles: Nicht jede Regel ist gut. Nicht jede Regel gemacht für unsere Zeit oder unseren Anwendungsfall. Regeln sind nur solange gut, wie sie eine Funktion erfüllen. Die Frage nach dem Warum öffnet den Gesprächshorizont und führt zu Lösungen, die von Grund auf neu sind.
  6. Definiere einmal: Es ist nicht grundsätzlich falsch darüber zu reden, wie wir reden. Aber es ist falsch, dies immer wieder zu tun. An der Universität beispielsweise wird im ersten Proseminar definiert, was ein akademischer Diskurs ist. Diese Definition gilt in jedem Seminar und Diskussionsteilnehmende müssen sie nicht immer wieder neu definieren. Eine gewaltige Zeitersparnis ist die Folge.

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