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Der Spielstand: Ein müder Internet-Auftritt aus den Anfängen des digitalen Zeitalters kann nicht mehr und muss ausgewechselt werden.

Die frische Seite soll mehr Daten, mehr Kunden, mehr Geld bringen. Soll sich besser nutzen und verwalten lassen. Sie verschiebt den Fokus vom Print auf die digitalen Kanäle. Setzt auf alles, was en vogue ist: Responsive Design, Modularität, Mobile First Approach, Agile Development. Ein kleiner Schritt für die Branche, ein Riesensprung für die Organisation.

Das Design zuerst, der Inhalt später

Doch wo beginnen? Am besten dort, wo das alles fassbar wird. Also beim Design. Es soll modern sein, optisch überzeugen, flach designed soll es werden, auf allen Geräten funktionieren, jung und frisch und progressiv soll es wirken. Die Designer machen sich an die Arbeit und liefern.

Und dann, Trommelwirbeltusch: Ja, das Design sieht super aus. Ja, es ist responsive, überzeugt auf den ersten Blick, funktioniert auf allen möglichen Geräten. Und ja, es wirkt um Welten jünger ist farbiger und viel flexibler als die alte Online-Gurke.

Neues Design, neues Problem

Nur: Das Design ist weit weg vom Inhalt entstanden. Es steht fest bevor der Inhalt steht. Dies stellt Inhaltsschaffende vor einige Probleme:

  1. Die Bilder-Bedrouille: So schick das Design, so viele verschiedenen Bilder erfordert es. Bild-Konzept und Bild-Redaktion fehlen weitestgehend. Was sich auf den bild-geprägten Auftritt auswirken wird: Es drohen Stock-Bilder, visuelle Wiederholung und altbekannte Buchstaben-Monokultur.
  2. Tatort Text: Das Design setzt nur kürzeste Texte ein. Es reduziert. Treffende Titel und knackige Leads fordert es. Genau diese Textgattungen stellen aber die höchsten Ansprüche an Content-Schaffende. Was, wenn die Verantwortlichen einen Abstract wollen, das Design aber Texte in Haiku-Länge vorgibt?
  3. A Paradox of Choice: Das Design ist modular, stellt die Redaktion vor die Qual der Wahl: Ein Moodboard oder ein grosser Teaser? Die schicke Galerie oder doch die elegante Liste? Während des Design-Prozesses werden Optionen auf noch mehr Optionen getürmt. Dann steht die Redaktion vor dem Widerspruch der Auswahl: Sie ist zwischen all den möglichen Kombinationen gelähmt.
  4. Das Design regiert: Im langen Design-Prozess sind die Anwendenden immer im Hintergrund geblieben. Das Design hat sich zum komplexen System gemausert. Nicht ganz durchsichtige Kompostitions-Regulatorien sollen die Klarheit des Designs bewahren. Die Redaktion ist gezwungen, ganze Seiten umzugestalten, weil ihr auf der Zielseite eine entscheidende Komponente fehlt: Die Funktion folgt der Form.

Für ein ungeduldiges, scannendes, abgelenktes Publikum

Zu den vier Design-Problemen kommt eine weitere Herausforderung, der sich jedes Projekt stellen muss, welches auf mobilen Geräten und grossen Bildschirmen gleichermassen funktionieren will: Die Hierarchie der Inhalte.

Jeder Organisation fällt es schwer, Inhalte ihrer Wichtigkeit nach einzuordnen. “Alles ist entscheidend”, bekommen Redakteure immer wieder zu hören, “Alles muss rein”. Weil “Alles” sich nicht mit Usability verträgt, kämpft die Redaktion dafür, Inhalte auswählen, verdichten und akzentuieren zu dürfen.

Sie kämpft, weil sie die neue Knappheit erst noch den Verantwortlichen verkaufen muss. Damit aber die gesamte Organisation sich hinter den stets wertenden Kerngedanken von “Mobile First” stellt, sind viel organisationspolitisches Geschick und Ausdauer nötig. Und eine gehörige Prise Kompromissbereitschaft und Frust-Toleranz.

Fünf Probleme, eine Lösung

Es geht nicht darum, die beste Antwort auf ein Problem zu finden. Es geht um die aktuell passende Lösung. L. D.

Bilder-Not, Text-Flut, massenhaft Module, undurchsichtige Regeln und immer zu kleine Bildschirme; Das sind die Probleme der neuen, alten Web-Redaktion.

Lösungen gäbe es viele. Das Bilder-Problem liesse sich mit zusätzlichen Shootings, einem weniger bildschweren Layout, oder mit einem beneidenswerten Bild-Verarbeitungs-Algorhythmus à la New York Times lösen. Die Text-Flut liesse sich mit viel Zeit und Arbeitskraft eindämmen. Die Modul-Masse und Regeln-Haufen könnten abgetragen, Fehlendes nachprogrammiert werden.

Alle diese Lösungen würden viel Geld kosten. Sie würden das Projekt um Jahre zurückwerfen. Sie sind keine Option.

Deshalb begegnet die Redaktion dem neuen Umfeld pragmatisch: Sie arbeitet mit dem Gegebenen, sucht nach Alternativen, macht Fehler und versucht daraus zu lernen.

  1. Aus Weniger Mehr machen: Sie nutzt bestehende Bilder so gut als möglich. Sie verwaltet Bildformate manuell und akzeptieren doppelt vorhandenes Material. Verwendet auch zweitrangige Visuals und verzichtet wo nötig auf Bilder.
  2. Ressourcen-Konzentration: Sie konzentriert ihre Text-Arbeit auf die neuralgischen Stellen, wie Titel und Lead-Texte und akzeptiert Überlänge und Wildwuchs, an weniger prominenten Stellen.
  3. Workaround statt Standstill: Sie findet Workarounds um die fehlenden Module. Wählt also nicht immer das ideale Element, sondern einfach jenes, mit dem sie ihre Inhalte abbilden kann.

Eigene Design-First-Erfahrung?

Haben Sie eigene Erfahrungen gemacht mit Projekten, in denen das Design den Ton an- und den Tarif durchgibt? Lassen Sie mich wissen, wie Sie zu Lösungen gekommen sind!

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