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Manchmal ist es gut, unverständlich und kryptisch daherzureden, statt sich auf den immer evidenten Klartext zu verlassen.

Kryptisch statt klar?

Wenn jemand sehr edukiert und eloquent ein Exposé zum Besten gibt, spaltet sich in den meisten Fällen die Zuhörerschaft:

  • Die einen kanzeln den Palaverer als aufgeblasenen Selbstinszenierer ab und wenden sich mental anderen Dingen zu.
  • Und die anderen? Die anderen denken: Jetzt spricht der Typ so lange, verwendet so viele sieben-silbige Wörter und webt endlos-scheinende Sätze: Da muss doch was dran sein.

Für bekennende Gurus, werdende Rockstars und Marken, die so viele Tie Fighter in die Schlacht schicken könnten, wie das mächtige Empire daselbst, ist die zweite Gruppe natürlich viel interessanter.

Haufenweise fauler Interpreten

Warum aber polarisiert gurueskes Gerede? Eine Erklärung liefert die Relevance Theory von Dan Sperber und Deirdre Wilson:

Der Mensch, so die Theorie, ist ein fauler Interpret. Er bemüht sich nur so lange etwas zu verstehen, wie der Grund zur Annahme besteht, dass sich dies lohnen könnte.

Unsere beiden Gruppen unterscheiden sich dadurch, dass Gruppe 1 den Schwafeler als solchen erkennt, während Gruppe 2 annimmt, dass sich hinter Worthülsen, Satz-Barrikaden und anglizistischem Schein etwas verbergen könnte, wofür es sich zuzuhören lohnt.

Publikum im Teufelskreis

Gruppe 2 wird damit Opfer des Guru-Effekts:

  • Statt den Redner zu hinterfragen, hinterfragen sie die eigene Kompetenz. Dadurch werten sie den obskuren Orator implizit auf.
  • Komplizierte Sprache wird als Folge unfassbar komplexer Inhalte gedeutet. Statt den Redner für mangelnde Sprachkompetenz anzukreiden, wird ihm unbeschränkte Sachkompetenz zugeschrieben.
  • Weil Gruppe 2 glaubt, dass sich etwas herausholen lässt, aus all dem Gerede, bleiben sie dran. Je länger sie dranbleiben, desto grösser der Anreiz irgend eine Bedeutung im obskuren Geschwafel zu entdecken.
  • Alsbald wird aus dem Publikum eine devote Anhängerschaft, die alle Voten ihres Heilsbringers nicht nur interpretiert, sondern auch inbrünstig weiterverbreitet.

Meistens sind die Interpretationen der Anhänger nicht weniger obskur, als die ursprünglichen Botschaften. Je mehr Anhänger hinter den geheimnisumwitterten Aussagen eines Gurus einen lohnenswerten Gedanken vermuten, desto grösser die Autorität des Guru. Desto mehr devote Anhänger, desto mehr Autorität… Ein Teufelskreis.

Wie wird man Guru?

Wer noch keine unumstössliche Autorität ist – may the force be with you – muss sich seine Sporen erst abverdienen. Folgendes kann dabei helfen, den Guru-Effekt nutzbar zu machen:

Wer Ironie, Metaphern und Sprachwitz versprüht, signalisiert: Hey Leute, ich weiss, was ich tue. Sprachliche Kompetenz wird gerne als Sachkompetenz gewertet. Ein erster Schritt zum Guru ist also: Sprachkompetenz demonstrieren (idealerweise nicht nur mit rhetorischen Purzelbäumen, sondern auch inhaltlich).

Departing from plain and easy formulation is often a way of signalling that something other than plain meaning is intended.*

Weil die Unterscheidung zwischen Sprach- und Fachkompetenz notorisch schwierig ist, bewertet das Publikum gute Sprecher als sachkompetenter. Stotterern hingegen wird nichts zugetraut. Sprache ist also ein Grundstein für Autorität.

Difficulty is presented as pertaining not to expression but to content itself, as being not a rhetorical device but a direct and unavoidable aspect of sophisticated thinking.*

Mit Jargon lässt sich der Zuhörer-Komplex leicht nutzen. Wer in Fachterminologie spricht, zeigt an, dass er zu einer Gruppe erlesener Experten gehört. Er macht klar, dass er als Insider sich klar von den Ottos und Fraukes da draussen unterscheidet. Wer Jargon gekonnt einsetzt, etabliert sich als Autorität und zwar ganz einfach darum, weil Outsider nicht mehr folgen können. Natürlich empfiehlt sich im Umgang mit Jargon eine Prise Korrektheit. Ein Fehler genügt und vermeintliche Fachsprache löst sich in Palaver auf.

Try not. Do or do not. Grandmaster Yoda, Star Wars.

Wer sehr gezielt kompliziert redet, ohne sich dabei in den eigenen Sätzen zu verfangen, kann dies nutzen und davon profitieren, dass Zuhörende komplexen sprachlichen Ausdruck mit komplexem Gedankengut gleichsetzen. Heisst: Sei möglichst kompliziert und du wirst als unglaublich weise wahrgenommen.

If the speaker of writer chose to go ahead and express a thought hard for her audience to understand, she is thereby suggesting that the thought in question is relevant enough to be worth the effort.*

Der Mensch entscheidet nicht rational, ob jemand als Autorität (lies: als Yoda-esker Guru) oder als Scharlatan eingestuft wird. Oft vermag das Publikum nicht zu unterscheiden, ob wahr ist, was jemand behauptet. Es kann aber immer beurteilen, wie viel Aufwand jemand betreibt, um zu überzeugen. Selbst wenn eine Argumentation undurchsichtig bleibt, kann sie sich also lohnen. Oft bewerten Zuhörer den blossen Effort bereits positiv. Heisst: Argumente kommen oft nicht an, aber es lohnt sich fast immer zu argumentieren.

The very fact that I made the effort and took the risk involved in arguing may contribute to the believability of my conclusion, even if the argument remains unexamined.*

Obskures gibt Anlass zu Interpretation. Wer obskur kommuniziert und über eine Anhängerschaft verfügt, kann sich darauf verlassen, dass seine Worte auf die Waagschale geworfen, gedreht und gewendet und neu zusammengesetzt werden. Für den Guru bedeutet das, dass seine Worte in den Interpretationen seiner Anhänger weiterleben und – wichtiger – weiterverbreitet werden. Heisst: Minimaler Aufwand, maximale Verbreitung. “Earned it you have”, würde Yoda wohl sagen.

Clear statements and easy arguments may become the objects of a collective evaluation, but only obscure statements and difficult arguments are likely to become the objects of a collective endeavour of interpretation.*

Sind Sie ein Guru?

Sie palavern weltmeisterlich? Bezaubern mit gehauchten Pausen? Gewinnen ihr Publikum mit semi-obskurer Kontrast-Kultur? Beweisen Sie es!

*Quelle: The Guru Effect von Dan Sperber.

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