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1. Puzzle-Steine erkennen

Selten ist zu Beginn einer Überarbeitung klar, welches Text-Puzzle wohin gehört: Manchmal versteckt sich im zweitletzten Zitat der Hammer-Titel und nicht-enden-wollende Absätze enthalten haufenweise Listen-Elemente.

Der Redaktion erster Teil heisst also immer: Puzzle-Teilchen genau anschauen. Ist dieser Abschnitt ein Lead-Text? Hat jenes Zitat das Zeug zum Titel? Und: Haben die Elemente bereits die gewünschte Form?

  • Titel: Der Titel lockt den Leser, verspricht, was der Text liefern wird. Dieses Element entscheidet darüber, ob ein Text gelesen wird oder nicht.
  • Spitzmarke: Die Spitzmarke definiert das Thema eines Textes. Im Web ist eine Spitzmarke das, wonach jemand suchen würde (z.B ‘Professionell schreiben’). Sie ist die Kategorie oder das Label, welches man einem Text zuordnen könnte. Spitzmarken sollten Teil des Title Tag sein.
  • Lead-Text: Lead-Texte sind Zusammenfassungen. Sie klären kurz (in unter 160 Zeichen), worum es geht. Dabei beantworten sie die aus dem Journalismus bekannten W-Fragen (wer, wo, wann, wie, warum). Lead-Texte lassen sich, wenn sie gut geschrieben sind, als Meta Descriptions wiederverwenden.
  • Abschnitt: Abschnitte sind Denkeinheiten. Sie machen eine Aussage und gleich im ersten Satz klar, was sie behandeln. Die nachfolgenden Sätze belegen und unterstützen die Aussage des eröffnenden Satzes. Der Schlusssatz schliesslich fasst idealerweise zusammen und schliesst die Denkeinheit ab. Die klaren Regeln fürs Absätzeschreiben aus dem angophonen Sprachraum sind auch im deutschsprachigen Redigieren immer wieder hilfreich.
  • Untertitel: Untertitel ermöglichen es Lesenden zusammen mit gut geschriebenen Absätzen, an beliebigen Textstellen einzusteigen. Untertitel funktionieren wie Titel: Sie sagen an, was die nachfolgenden Absätze bieten. Dabei sollten Untertitel im Web nicht zu feuilletonistisch-verspielt daherkommen. Zu kurze, metaphorische, viel-Wissen-voraussetzende Untertitel funktionieren sowohl für Leser als auch für Suchmaschinen schlechter, als solche, die klare Aussagen machen.
  • Liste: Viele Texte zählen Dinge auf, nur wenige zeigen, dass sie dies tun. Ein sehr einfaches Mittel um lange Texte aufzulockern ist es, nach Aufzählungen Ausschau zu halten und die Elemente einer Liste – auch visuell – als Puzzle-Steine herauszuheben. Denn: Auch Listen helfen Lesenden dabei Text-Quereinsteiger zu werden.
  • Sätze: Der deutsche Satz ist ein vielgesichtiges Biest. Er kann parataktisch kurz sein. Oder er kann sich eminent wichtig nehmen, lange kreisend zirkeln, auf Nebenschauplätzen in aller Ausführlichkeit die Vorzüge schwingender Relativsätze erörtern, um schliesslich – in gravierenden Fällen des hypotaktischen Satzwurm-Befalls erst nach mehreren Zeilen – auf den Punkt zu kommen. Grundsätzlich spricht nichts gegen verschachtelte Sätze. Sie haben durchaus ihre Berechtigung. Gehäuft sind sie aber nicht nur schwieriger zu lesen, sondern oft auch schwieriger zu schreiben.

2. Überblick gewinnen

Sobald alle Puzzle-Steinchen identifiziert sind, gilt es sich einen Überblick über alle Text-Elemente zu verschaffen. Am leichtesten gelingt dies, wenn in einem ersten Schritt thematisch Ähnliches zusammen gruppiert und zweitens diese Gruppen neu angeordnet werden:

  • Themen identifizieren: Welche Stichwörter fallen immer wieder? Was steht in Untertiteln? Was im Lead-Text? Die zusammenfassenden Text-Puzzles geben Hinweise darauf, wo die Kernthemen liegen könnten. Beim Neuschreiben eines Lead-Textes stösst man automatisch auf die Themen eines Textes, weil man ja die W-Fragen kurz und knapp beantworten muss.

  • Gleiches zu Gleichem: Die Themen eines Textes geben vor, wie Text-Puzzles gruppiert werden sollten: Ganz unabhängig davon, ob ein Element nun ein Absatz, ein Listen-Element oder ein Zitat ist; es kommt in eine Gruppe, was thematisch zusammengehört.

  • Die Elemente einer Gruppe ordnen: Wenn die Textelemente einmal gruppiert sind, gilt es Ordnung in die einzelnen Themenblöcke zu bringen. Ordnung in eine Puzzle-Gruppe zu bringen ist wesentlich einfacher als das ganze Text-Puzzle gleich zu Beginn in eine gescheite Reihenfolge bringen zu wollen: Die Auswahl der Elemente in der Gruppe ist schliesslich viel überschaubarer. Die thematische Gruppierung verhindert ausserdem das Risiko für ungewollte Wiederholungen.

3. Teile neu zusammensetzen

Nachdem die Gruppen bereits wohlgeordnete Erzähleinheiten bilden, bleibt noch die Aufgabe die einzelnen Themen in eine sinnvolle Reihenfolge und in einen Zusammenhang zueinander zu bringen. Anhaltspunkte dafür, wie das gehen könnte, bieten die Grundprinzipien des Storytelling (basierend auf Storytelling für Journalisten von Marie Lampert und Rolf Wespe):

  • Chronologie: Textteile werden gemäss ihrer zeitlichen Abfolge angeordnet. Bei entsprechendem Material ist dies die einfachste Art Texte zu organisieren. Beispiel: Dieser Text ist grundsätzlich chronologisch aufgebaut: Zuerst passiert ‘erstens’, dann kommt ‘zweitens’ und zuletzt ‘drittens’.
  • Monster, Held und Glanztat: Diese Strukturierungsform ist das Grundprinzip vieler How-to-Texte: Ein Problem wird präsentiert, eine Person oder ein Unternehmen tritt auf und überwindet das Hindernis mit wehenden Fahnen. Beispiel: Die SEO-Agentur moz.com schreibt viele ihrer Inhalte basierend auf diesem Prinzip.
  • Widerspruch: Ein starker Widerspruch zwischen zwei Inhaltsgruppen kann als Strukturierungsprinzip des Gesamttextes ausreichen. Präsentiert wird zuerst die These, dann die Antithese. Eine Synthese, also die Bewertung der beiden Hauptteile, schliesst Texte dieses Typs ab. Beispiel: Mein Artikel ‘Zwei Inhaltstypen, eine Content-Strategie’ folgt lose diesem Schema.
  • Rahmen: Die Rahmenerzählung basiert auf einem Kunstgriff, der sehr verschiedene Teile eines Grosstextes unter ein gemeinsames Dach bringt. Berühmtestes Beispiel sind die Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht. Ein ähnliches Prinzip ist in vielen Firmenpublikationen am Werk. Hier spannt ein Editorial den Werterahmen des jeweiligen Unternehmens auf, welcher von den einzelnen thematisch nur bedingt verbundenen Schachtelerzählungen (Reportagen, Porträts etc.) unterstützt wird. Beispiele für dieses Prinzip sind Publikationen wie das UBS Magazin, das Bergsport-Magazin Inspiration oder das Magazin der Hochschule Luzern.
  • Hauptstrang und Exkurse: Die Strukturierungsmethode der Gondelbahngeschichte stellt einen am Rande mit den verschiedenen Elementen verwandten Aspekt als Organisationsprinzip in den Mittelpunkt und nimmt immer wieder darauf Bezug. Beispiel: Diesem Text liegt neben seinem chronologischen Grundmuster auch der Vergleich von Texteschreiben und Puzzeln zugrunde. Der Aspekt ist nicht zentral, kann aber immer wieder zur Einordnung eines Text-Elementes herangezogen werden.
  • Szene, Fakt, Szene: Das Prinzip erzählerische Text-Teile immer wieder mit schildernden Passagen zu unterbrechen ist in seiner literarischen/feuilletonistischen Reinform nur sehr wenigen Schreibenden zugänglich. Das Muster des Facts-Kastens, welches viele Zeitungen verwenden, nimmt aber diesselbe Aufgabe wahr, ohne auf kunstvolle Übergänge angewiesen zu sein. Ein exzellentes Beispiel für die Kombination von erzählenden und informierenden Inhalten liefert die News-Plattform vox.com. Hier werden News Items immer in den Kontext von Hintergrund-Informationen (sogenannten ‘Cards’) gesetzt.
  • Nur Exkurse: Episoden ohne offensichtliche Makrostruktur organisieren zu wollen ist ambitiös. Als Ersatz für ein Organisationsprinzip dienen kunstvolle Übergänge und die Einheit von Zeit und Ort. Ein Paradebeispiel hierfür ist der episodische Film ‘Short Cuts’ (Trailer) von Regisseur Robert Altman.

Steht einmal die neue Struktur des Gesamttextes, bleibt noch das Fein-Tuning: An Übergängen feilen, zusammenfassende Text-Gattungen (Titel, Lead-Texte) auf die neue Struktur anpassen, grammatikalische Korrektheit überprüfen. Aber am Wichtigsten: Die Teilchen kurz Teilchen sein lassen und den Text wie ein fertig zusammengesetztes Puzzle noch einmal mit einer Armlänge Distanz betrachten.

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