4 Minuten zum Lesen

Inhalte im Web wie Inhalte am Radio müssen in erster Linie informieren. Dies bedeutet für Sprecher wie für Texter, dass sie sich zurücknehmen müssen. Die Bühne muss ganz der übermittelten Information, dem empfohlenen Video-Clip oder der mitreissenden Geschichte gehören. Doch wie schreiben wir Texte, welche es sich zu lesen lohnt?

Relevance Theory im Online-Text

Die Antwort ist einfach: Zwinge deine Kunden nicht dazu nachzudenken, wie Usability-Experte Steve Krug, unvergesslich titelte. Oder: Wenn User nicht vom Nachdenken befreit werden können, muss sich der kognitive Aufwand für sie lohnen.

Als Inhaltsschaffende haben wir also zwei Grössen, die wir manipulieren können, um gut lesbare Texte zu schreiben:

  1. Inhalte müssen möglichst einfach verständlich sein.
  2. Inhalte müssen möglichst grossen Nutzen bieten.

Don’t make them think!

Meine Aufgabe als Texter besteht darin, Information einfacher darzustellen, Wichtiges von weniger Wichtigem zu unterscheiden. Natürlich funktionieren Texte auch ohne sorgfältige Überarbeitung (Schliesslich ist Text die flexibelste Art Information zu speichern).

Die Arbeit, welche User, Leser oder Hörer aber investieren müssen, um in schlechten Texten Information zu finden, sie zu verstehen und einzuschätzen ist viel grösser als nötig: Unsorgfältige Texte verschieben die Arbeit des Texters und Redaktors auf den Leser. Und wenn eines sicher ist, dann dass wir Leser und Hörer faul sind. Schreibt oder spricht jemand unkonzentriert daher, verabschiedet sich unweigerlich das Publikum.

Wie am Radio gilt im Web: Kürze, Struktur und Sprachwahl machen Texte verständlicher und reduzieren fürs Publikum die Arbeit auf ein Minimum:

Online-Text muss kurz sein.

  • Warum: Menschen im Web haben wenig Zeit und begegnen Inhalten gerade unterwegs im Mobile Web mit einem sehr beschränkten Aufmerksamkeits-Budget. Für Schreibende gilt: Nicht lange einleiten, sondern direkt zum Punkt kommen.
  • Wie: Alles streichen, was nicht unbedingt nötig ist. Punkt. Alles heisst: Überflüssige Adjektive, für die Gesamtwirkung überflüssige Inhaltselemente, Seiten, die nur sehr selten besucht werden. Die Streicherei sollte allerdings nicht übertrieben und ganz sicher nicht pauschalisiert betrieben werden. Absolute Zeichen-Maxima sind nicht die Lösung. Ein etwas längerer, dafür aber interessanter und gut lesbarer Text ist dem kurzen, allgemein-langweiligen auf jeden Fall vorzuziehen.

Web-Texte brauchen Struktur!

  • Warum: Wir wissen nicht, wo Nutzer in eine Website einsteigen. Wie bei einer Radiosendung können an allen möglichen Stellen eines Skripts neue Hörer und Leser dazustossen. Wir müssen also modular texten, sodass Neuankömmlinge möglichst schnell einen Einstiegspunkt finden.
  • Wie: Grundsätzlich kann alles eingesetzt werden, was einen Text in Module zerlegt und ihn dadurch strukturiert: Das fängt an beim einfachen Satzzeichen, welche Abschnitte in verdaubare Häppchen unterteilen. Freiraum segmentiert Text-Blöcke in Abschnitte und Titel machen klar, aus welchen Sektionen ein Text besteht und wo über was gesprochen wird.

Wird eine Sache zweimal gesagt, bleibt sie besser in Erinnerung. Wird eine Sache zweimal gesagt, fällt sie auf.

Ganz wichtig ist auch im Web das wohl wichtigste Strukturierungsmittel aus der mündlichen Sprache: Die Wiederholung. Wird eine Sache zweimal gesagt, bleibt sie besser in Erinnerung. Wird eine Sache zweimal gesagt, fällt sie auf. Wird etwas mehrmals wiederholt, bieten sich scannenden Lesern mehrere Möglichkeiten entdeckt zu werden.

Auch die Verwendung von bestimmten Genres und Text-Typen hilft Lesern und Zuhörern dabei, sich schnell zurecht zu finden:

  1. Titel verschaffen Überblick.
  2. Lead-Texte fassen zusammen.
  3. Datumsblöcke platzieren Inhalte auf der Zeitachse.
  4. Bildlegenden erklären und konzeptualisieren Medien.
  5. Zitate stellen den Blickwinkel einer bestimmten Person dar.
  6. URLs stellen einen groben Kontext her.

Diese konventionellen Kleinstgattungen nehmen dem Publikum Arbeit ab, indem sie ihm die Orientierung erleichtern. So wissen wir ja alle was folgt, wenn jemand eine Erzählung beginnt mit: “Es war einmal…” Wenn Leser ahnen, was sie erwartet, fällt es ihnen leichter das Kommende zu verarbeiten (mehr zu diesem sogenannten Priming-Effekt?). Wenn wir Text-Konventionen verwenden, nehmen wir unseren Lesern Arbeit ab.

Texte sprechen die Sprache des Publikums!

  • Warum: Es ist leichter, jemanden zu verstehen, der spricht wie ich. Oder vielleicht besser: Es ist leichter, jemanden zu verstehen, der weniger kompliziert spricht als ich.

  • Wie: Im Internet kann jeder alles lesen. Zumindest theoretisch. Sollen also nicht bewusst Besuchergruppen ausgegrenzt werden, empfiehlt es sich gerade für in ihren Fachbereichen hochkompetente Schreiber nicht im Jargon zu bleiben, sondern Komplexität zu übersetzen. Das wohl erfolgreichste Beispiel hierfür ist die TED-Vortragsreihe.

Oft haben Texter Mühe, ihre Vereinfachungs-Entscheidungen zu begründen. Warum etwa ist es hier besser von “Texter”, als von “Schreiberling” zu sprechen? Lange mussten sich Textschaffende auf ihr Gefühl, ihre Erfahrung oder ihre Autorität bei Kunden verlassen. Für Texte im Internet sind diese Zeiten vorbei.

Es ist leichter, jemanden zu verstehen, der weniger kompliziert spricht als ich.

Mit den von Such-Giganten angehäuften Nutzerdaten, kann die Wortwahl auch mit sehr wenig Aufwand ganz einfach datenbasiert begründet werden. Ein Vergleich der drei Begriffe ‘Texter’, ‘Redaktor’ und ‘Schreiberling’ auf Google Trends zeigt schnell: Praktisch niemand tippt Schreiberling ins Suchfeld, während die Worte ‘Texter’ und ‘Redaktor’ weit öfter gesucht werden.

Weltweiter Vergleich der drei Begriffe 'Texter', 'Redaktor' und 'Schreiberling' auf Google Trends: Praktisch niemand sucht nach Schreiberling

Make their effort worthwile!

Erfolgreiche Texte im Web sind also möglichst einfach. Einfache Texte sind aber lediglich die Pflicht. Die zweite Aufgabe und Kür eines guten Online-Textes besteht darin, zu nützen, also zu informieren, zu unterhalten, zu berühren. Dabei gibt es mindestens zwei Ansätze:

Der Monster-Ansatz

Wer ein weit verbreitetes Problem lösen kann, und sein Wissen teilt (oder auch nur andeutet, dass er als Held, dem Monster Problem in einer Glanztat beikommen könnte) hat einen Web-Inhalt, der Besucher anziehen wird. Denn Besuchern wittern eine grosse Belohnung: Sie erwarten etwas dazuzulernen.

Dabei muss nicht unbedingt gleich Weltfrieden gestiftet oder Unsterblichkeit wiederentdeckt werden. Oft reicht es völlig Entscheidungshilfen zum besten Text-Editor zu geben, Erfahrungen aus dem letzten Web-Projekt zu teilen oder zu zeigen, wie ein Gleitschirm rückwärts aufzuziehen ist.

Der Entertain-me-Ansatz

Manchmal wollen wir aber nichts dazulernen. Manchmal wollen wir uns an wunderschön dahingeschnörkelten, sich sphärisch über mehrere Zeilen schwingenden Wort-Konstellationen ergötzen, manchmal wollen wir fühlen und nicht denken, uns selbst, unser hier und so sein vergessen. Manchmal wollen wir einfach nur kopflos unterhalten werden.

Klingt etwas gar einfach? Genau! Für meinen nächsten Post hier auf tschannes.ch stelle ich langweilige Rezepte für spannende Texte zusammen. Stay tuned!

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